Nicht nur mehr, sondern lauter #wirsindmehr

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Ich bin ehrlich, in den letzten Tagen habe ich Nachrichtenmeldungen eher gemieden. Die Gründe hierfür sind vielschichtig, Zeit war definitiv ein Faktor (siehe das Tagebuchbloggen von gestern). Aber auch eine große Fassungslosigkeit spielt hier eine nicht unbeachtliche Rolle. Und ein großer Teil Verständnis- und Hilflosigkeit. Ich kann nicht verstehen, was da derzeit passiert. Diese Verrohung, fast eine Entmenschlichung beider Seiten, hinterlässt bei mir ein Gefühl der Übelkeit. Nicht nur der vielerorts nachwievor verleugnete rechte Mob in Chemnitz, aber auch Nachrichten über verschandelte Stolpersteine in Moers und Politiker, die anscheinend Tag für Tag neue Tabus brechen…die Sammlung dieser Nachrichten lässt mich grübeln. #wirsindmehr…okay…aber sind wir auch lauter als der Mob?

Ich bin ehrlich, auch wenn es eine coole Sache war, glaub ich nicht, dass ein Konzert in Chemnitz als Antwort auf Hass DIE Lösung ist. Ich stehe dem sehr skeptisch gegenüber. Ich weiß, es sollte ein Zeichen sein, „Chemnitz ist nicht nur voller Wutbürger“ und dass man sich die Stimmung nicht vermiesen lasse. Aber ich glaube nicht, dass es eine wirksame Aktion gegen Rechts war. Ein Zeichen vielleicht, Menschenmasse gegen Mob, ein Spiel der Zahlen. Was jetzt aber zählt ist zu zeigen, dass die „Wir sind das Volk“-Brüller nicht nur weniger sind, sondern auch nicht lauter, nicht besser organisiert sind, dass sie nicht „doch irgendwie einen guten Punkt haben.“

#wirsindmehr heißt es. Und das mag noch stimmen, warum sonst versucht man von Rechts die Mitte für sich einzunehmen und jeden, der etwas dagegen sagt, in die linksextreme Ecke zu drängen? Ich kenne viele, die da nicht hingehören, die zwischen den Fronten aufgerieben werden und meinen, sie müssen sich nun für eins der Extreme entscheiden. Wenn ihr euch so fühlt sage ich euch eins: Müsst ihr nicht. Ihr müsst euch nur entscheiden, wie viel eurer Menschlichkeit ihr bereit seid aufzugeben, wenn ihr euch positioniert. Und wie viele eurer Privilegien euer Recht oder euer Glück sind.

In Situationen, in denen es Menschen schlecht geht, ist Zusammenrücken eigentlich Ehrensache. Zumindest war es das mal. In schweren Zeiten appellieren Regierungen an die Bevölkerung, man müsse nun etwas zusammenrücken. Sprich, man gibt etwas von sich ab, damit es anderen auch gut geht. Das ist solidarisch und eben „Ehrensache“. Jedenfalls war es das mal. Warum aber wird dieses Verständnis immer mehr auf die Nationalität reduziert? Warum rutscht man für den „echten Deutschen“ eben ein Stück rüber, für andere Menschen, die nur zufällig woanders geboren wurden (so zufällig wie man selbst hier geboren wurde, das ist nämlich kein Verdienst, auf den man Stolz sein kann, sondern fucking Glück) aber nicht? Es erschließt sich mir nicht. Warum macht die Herkunft einen Menschen mehr wert? Ich werde es nie verstehen.

Dann noch die plötzliche Vergesslichkeit, wenn es um die Geschichte unseres Landes geht…was ist da los? Politiker sabotieren Führungen durch KZ’s mit fadenscheinigen Vorwürfen der Geschichtsverzerrung, in Moers werden zahlreiche Stolpersteine schwarz besprüht und somit unkenntlich gemacht. Viele sagen sie hätten es satt, sich ewig dafür zu schämen, was ihre Großeltern damals getan haben (wenn das überhaupt so war, ich meine, die können sich ja auch alle einfach geirrt haben, nech?). Haben die sich denn überhaupt je mal geschämt? Sich damit befasst, was damals los war? Wie viele ihrer Vorfahren ihrer Zeit Geflüchtete waren und alles verloren haben, nur weil ein Mob behauptete, er sei DIE Alternative für Deutschland? Ich bezweifle es, denn wenn sie zu Scham fähig wären, dann würden sie das JETZT tun.

Ich las kürzlich das neue Buch von Juli Zeh, „Leere Herzen“. Sie umschreibt sehr treffend ein Deutschland, in dem die „Besorgte Bürger Bewegung“ das Sagen hat. Da ist nicht alles fürchterlich, nein. Aber es ist kalt, man ist passiv, kann und will nichts mehr dazu sagen, was im Land passiert. Man kann es ja eh nicht ändern. Und so fristet man sein Leben als Statist in einer Welt, in der Menschlichkeit keinen Raum mehr hat.

Auf Twitter sah ich einen Tweet, in dem Eltern sich dagegen wehren, dass ihre Kinder in der Schule über Rassismus aufgeklärt werden.


Sowas ist nur möglich in einer Welt, in der Menschen angeklagt werden, die andere Menschen vor dem Ertrinken retten. Wie das passieren konnte weiß ich nicht, ich weiß nur, dass irgendwann die Menschen aufgehört haben zusammen zu rücken. Wo man nicht bereit ist, für das Batminton-Training eine Fahrt von 10 Minuten in Kauf zu nehmen, weil die Sporthalle zeitweilig dafür genutzt wird, Menschen die aus Angst um ihr Leben alles zurück ließen ein Dach über dem Kopf zu geben. Das ist dann nämlich keine Ehrensache mehr, das ist „die Höhe“ und alles Merkel’s Schuld und sowieso. Wie können „die“ uns unser gemütliches und privilegiertes Leben mit ihrem Leid nur so vermiesen? „Geh woanders sterben“ hörte man in meiner Jugend Jugendliche scherzen, dies ist die härtere, weil wirklich ernst gemeinte, Form davon. „Geh mir mit deinem Leid bitte nicht auf die Nerven, du hast halt einfach Pech gehabt“.

Solidarität sucht man immer verzweifelter. Natürlich gibt es Menschen, die laut werden, die laut sind. Die liebe Rike Drust hat es kürzlich mit einem Facebook Post sehr schön auf den Punkt gebracht:

„Ich wünsche mir, dass unser kleinster gemeinsame Nenner erstmal das hier ist: Es ist falsch, Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, Herkunft oder Lebensweise zu jagen. Es ist falsch und gefährlich, dass sich Rechtsextreme in die Ängste von Menschen schleichen und sie zu ihren Marionetten machen. Es ist falsch, dass verfassungsfeindliche Zeichen und Aktionen plötzlich geduldet werden.

Ich möchte nicht in ein paar Jahren zu meinen Kindern sagen: ‚Wisster, ich hab das nicht Ernst genommen und musste meinen Balkon fegen, als ich das hätte aufhalten können. Jetzt ist es leider zu spät – und erzähl das bloss keinem, sonst kriegen wir vielleicht aufs Maul.'“

Von Rechts versucht man sie zu negieren und übertönt diese Menschen mit Skandalen und augenscheinlich unüberlegten Aussagen, die dann jedoch länger die Öffentlichkeit in Anspruch nehmen als Stars und Sternchen, Nachbarn und Lehrer, Bäcker und LKW-Fahrer, die dagegen halten. Und während wir uns noch aufregen, steht das nächste Chemnitz schon irgendwo in den Startlöchern, nur lauernd auf den nächsten Fremden, der sich „was erlaubt“ um sich dann zu ereifern, wie unsicher Deutschland ist.

Newsflash: Ihr macht es unsicher. Ihr seid die, die die Gesellschaft zum wanken bringen und die Menschlichkeit, von der wir alle profitieren, auslöschen. Ihr skandiert nach einer Alternative und lauft den einzigen hinterher, die keine sind. Angefeuert von denen, die einen Sündenbock für die Tristesse in ihrem Leben brauchen und Recht gegeben vom Schandblatt der Nation, deren einzige Inhalte nur noch das Benzin auf eurem schon vorsichtshalber errichteten Scheiterhaufen für Angela Merkel sind.

Auf der einen Seite wird jedem, der Deutschland kritisiert gesagt, er könne auch gern woanders hingehen, auf der anderen Seite wird unser Land durch ihren indiffernzierten Hass gerade aus den Angeln gehoben. Lieber brauner Mob, liebe besorgte Bürger: Mein Rat ist: Geht ihr doch mal woanders hin und erlebt, wie es den Menschen dort geht. Mein Tipp ist, dass sich nicht wenige freiwillig in ein überfülltes Schlauchboot setzen und den Rest des Weges über das Mittelmeer sogar schwimmen würden, um wieder im heimeligen Deutschland sein zu dürfen. Wie wäre es mal mit ein wenig Demut? Keiner von euch hat es verdient, hier geboren zu sein. Es wurde euch geschenkt. Es ist ein Privileg, kein Recht.

Warum ich das nun alles so hier schreibe? Einerseits, weil ich es nicht wortlos mit ansehen kann und will. Und auch, weil ich mich positionieren will. Das sollten wir alle mehr tun. Nicht mehr die unbehelligte Mitte sein, denn die will man uns nehmen. Wir müssen lauter sein als der Mob. Nicht nur mehr, LAUTER! Lauter als ihre Skandale, Beschimpfungen, Wutausbrüche und Trotzanfälle. Lasst uns zusammenrücken. Für Menschlichkeit, für die Vernunft, für unser Deutschland. Unsere Bloggerkollegin Scheila vom Blog Münstermama hat eine Gruppe ins Leben gerufen für Blogger, die sich unter #lauterwerden ebenfalls klar und deutlich positionieren wollen. Außerdem gibt es natürlich auch noch die Seite „Blogger gegen Rassismus“, auf der es auch schon viele Blogger gibt, die ihre Stimme gegen die derzeitige Situation erheben und laut werden (die gesammelten Beiträge findet ihr hier). Macht doch auch mit? All ihr fleißigen Blogger, Twitterer, Instagrammer…ihr Influencer, nutzt eure Reichweite für etwas anderes als Katzenbilder und Armbanduhren. JETZT ist die Zeit dazu. Auf der letzten Blogfamilia war eins der prominentesten Themen noch wie politisch Elternblog eigentlich sind. Na? Mit verbadgeten Profilbildern und ein paar coolen Retweets ist es nämlich leider nicht getan. Ihr müsst euch jedoch auch nicht gleich an das nächste Flüchtlingsheim ketten. Jeder kann sich, auf seine Art und Weise, positionieren und laut werden. Die Stirn bieten. Nicht mehr dem Diskurs ausweichen, weil „man mit ‚denen‘ eh nicht reden kann“.

Also wir können unseren Kindern später nicht sagen, wir hätten nicht gewusst was passiert, denn es passiert direkt vor unseren Augen. Macht sie auf, schaut hin, sagt was, werdet ungemütlich.

Ich schließe diesen Artikel nun mit den Worten von Albert Einstein:

“Die Welt ist viel zu gefährlich, um darin zu leben – nicht wegen der Menschen, die Böses tun, sondern wegen der Menschen, die daneben stehen und sie gewähren lassen“.

Seid nicht nur mehr. Sondern auch lauter. 

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4 Comments

  • Reply
    Eva
    7. September 2018 at 09:21

    Vielen Dank für diesen Artikel. Wir müssen wirklich lauter sein, und auch konstanter. Was wir nämlich verpasst haben ist zu realisieren, wie gut einige rechte Gruppen mittlerweile organisiert sind, und da kann man langfristig nur etwas mit Konstanz gegensetzen.
    Migration ist unsere Zukunft, ohne würden wir gar nicht mehr weiterkommen. All die Menschen, die offensichtlich entschieden haben Geschichte, Zusammenhänge und Logik zu ignorieren würde ich immer gerne mal dazu aufrufen, dann doch bitte auch auf die Beiträge von Menschen mit Migrationshintergrund zu verzichten, die diese zu unserer Gesellschaft leisten. Wenn das alles so schlimm ist, dann sollen sie doch mal versuchen, wie es ohne wäre – dann würde nämlich nichts mehr funktionieren.
    Und wenn ich mir den politischen Diskurs gerade so angucke, wird mir nur noch schlecht. Da bekommt man wirklich das Gefühl, dass viele Politiker noch überhaupt nicht verstanden haben, worum es geht und dass Menschen mit Migrationshintergrund genauso zu Deutschland und damit genauso zu den Wählern gehören, wie all die besorgten Wutbürger.

  • Reply
    Julia
    9. September 2018 at 10:51

    Hallo meine Liebe!
    Ich bin voll und ganz bei dir und auch bei dir Eva!
    Danke, dass ihr euch so klar positioniert! Wir brauchen mehr davon!

    ❤ „Seid nicht nur mehr, sondern auch lauter!“ ❤

  • Reply
    D
    13. September 2018 at 08:50

    Ich erlaube mir, zu widersprechen, auch wenn ich inhaltlich zustimme. Es geht nicht darum, lauter zu sein, das ist genau das Ziel der Gegenseite. Es geht darum präsenter zu sein, besser zu sein, menschlicher zu sein. Lautstärke ist einfach. Und die Alternative leider nicht so öffentlichkeitswirksam. Aber notwendig.

    • Reply
      perlenmama
      13. September 2018 at 08:58

      Lieber D. Danke für deinen Einwand. Ich stimme dir da teilweise zu, weil ich denke, dass wir eigentlich vom gleichen sprechen. Ich denke schon, dass wir auch lauter werden müssen, dass wir uns den Diskurs zurück holen müssen, der sich derzeit hauptsächlich darum dreht, was „xy jetzt schon wieder gesagt hat“. Ich denke schon, dass man sich nun positionieren sollte, nicht nur für sich im Kopf, sondern eben laut und stolz. Damit meine ich nicht „deren“ Level, dass wir nun grölend durch Straßen ziehen und Nazis verprügeln…Nein, auch menschliche Taten im Angesicht der derzeitigen Lage können laut sein. Überlegte Argumente statt „du dümmer Nazi, mit dir kann man ja nicht reden“ können laut sein. Mal direkt, mal im übertragenen Sinne.

      Laut sein schließt für mich all die Dinge, die du genannt hast nicht aus. Wer für etwas laut wird, für etwas einsteht, der ist präsenter und ggf.auch schneller aktiv.

      Was „besser und menschlicher“ betrifft: absolut!

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