Eifrig und fleissig fliegt die Biene summend von Blüte zu Blüte und saugt mit ihrem Rüssel den süssen Nektar aus den Blütenkernen. Sie ist ziemlich schnell, effizient, gewendig, legt bei jeder weiteren Blüte eine Punktlandung hin. Auf manchen Blüten dieser recht klebrigen Frühlingsblume tummeln sich zudem auch noch hunderte von Ameisen, und zwar von den fiesen roten, die beissen und brennen, wenn sie einen „anpinkeln“. Wie oft wurde ich damals, als ich noch jeden Sonnenstrahl ausnutzte um draussen zu sein, Opfer einer dieser Ameisen-Pinkel-Aktionen? Zu oft, ich kann mich noch genau an dieses Gefühl erinnern, wie mein Fuss anschwoll und wie sehr die roten, gelb umrandeten Pusteln juckten. Ich frage mich, was geschehen würde, wenn die Biene auf einer dieser besetzten Blüten landen würde. Würden die Ameisen sie angreifen? Würde sie die Ameisen verjagen und die Blüte für sich erobern? Diese Frage bleibt offen, denn sie landet einfach nicht auf jenen Blüten, sondern fliegt nach der letzten ameisenfreien Blüte einfach von dannen.
Ein tiefen Brummen kündigt sie an bevor wir sie sehen können. Dann kommt sie in unser Blickfeld und beginnt ihren Landeanflug auf eine der lila Blüten, doch als sie landet gibt das dünne Blütenblatt unter ihr nach. Sie taumelt und fällt zwischen das Dickicht an Blumenblätter am Boden. Nach einer Weile erscheint sie wieder, die Hummel, und startet mit einem kurzen Aufheulen, der sich wie ein Motorrad-Motor anhört, eine zweiten Versuch, der ihr dann auch glückt. Leider ist die Blüte ihrer Wahl von Ameisen besetzt, was sie erst einen kleinen Augenblick zu spät bemerkt. Nach einem kleinen Moment des Mutes auf Seiten der Ameisen, welches drei Opfer fordert, ziehen sich die kleinen roten Soldaten zurück und überlassen dem dicken pelzigen Brummer den Blütenkern. Doch sie gehen nicht weit, sondern waren am Hals der Blüte auf den Abflug der Hummel. Ungestümt stochert die Hummel mit ihrem Rüssel im Blütenkern herum und labt sich am süssen Nektar. Irgendwann beschliesst sie wohl, dass es reicht und hebt hab, noch bevor sie ihren Rüssel komplett eingezogen hat. Ziemlich impulsiv, die Hummel. Die Ameisen fallen wieder über die Blüte her um zu sehen, was ihnen die Hummel übrig gelassen hat, während die sich mit einem immer leiser werdenden Brummen von der Blume, und uns, entfernt.
Diese Szenen spielten sich nicht etwa auf dem Discovery Channel ab, während ich meine Bügelwäsche erledigte und keine Lust zum Umschalten hatte. Nein, ich wollte die Perle bei ihrem Papa abholen, war auch etwas gehetzt und hatte zu dem keine Lust auf irgendwelche langen Unterhaltungen. Doch die Perle wollte mir irgendwas im Garten zeigen, also liess ich mich erweichen. Und da waren wir an dieser Blume stehen geblieben weil die Perle die Biene entdeckt hatte. Und nach einer Weile frug ich mich, warum ich so lange nicht mehr einfach stehen geblieben war und mir ein solches Schauspiel angeschaut hatte. Warum musste es immer eine Serie, oder eine Show sein? Oder mein Smartphone, oder ein Buch? Da vor mir spielte sich ein echt spannendes Schauspiel ab, wunderschön und tragisch und witzig. Und ich begann mich nach der Zeit zu sehnen, in der wir sogar einmal Langeweile hatten, wo wir uns anstrengen mussten um unsere Zeit zu füllen. Und während dieser Langeweile sahen wir Dinge, die uns sonst keiner gezeigt hätte. Dass man aus Malsteinen prima Farbe machen kann, z.B., oder dass Wespen, die aus Fallobst kriechen ziemlich betrunken sind. Oder wie Ameisen einen Schmetterling abtransportierten, wobei man ihre kollektiven Siegeshymnen quasi hören konnte. Früher nahm man sich Zeit um so etwas zu beobachten. Nein, falsch: Früher HATTE man die Zeit, so etwas zu beobachten. Heute muss man sie sich nehmen.
Oder aber, sie wird einem geschenkt, wie die Perle sie mir oft schenkt. Ich habe jetzt schon viele Situationen bemerkt, in denen sie mein Leben einfach entschleunigte. Momente, in denen sie mir Dinge zeigt, die ich übersehen und übergangen, oder einfach nicht für wichtig gehalten hätte. Einerseits nimmt sie mir viel Zeit, doch genau so gibt sie sie mir wieder, in Form von Langsamkeit, von Entschleunigung, von Wertschätzung. Mit ihr kann ich wieder einen Weg gehen ohne auch nur eine einzige kleine Pfütze auszulassen. Ein kleiner Brunnen am Wegesrand wird zur Attraktion und Flusen aus der Waschmaschine werden begehrte Sammelobjekte, deren Entdeckung beim Ausräumen gebürtig gefeiert werden muss.
Natürlich kann es ganz furchtbar nerven, wenn man eh schon zu spät dran ist und die Perle dann auch noch irgendwas entdeckt, was sie jetzt sofort grad noch erforschen muss, z.B. das Echo im Treppenhaus oder wie das Laub unter ihren Füssen knistert. Aber dann muss ich mich zusammen reissen und denken „eigentlich ist es doch ganz toll, dass sie so entdeckungsfreudig ist und ja, Mensch, es ist ja auch ganz furchtbar spannend!“ Funktioniert nicht immer, aber wenn, dann ertappe ich mich des öfteren dabei, dass ich von der Spannung angesteckt werde und die Welt auch wieder ein wenig langsamer und vor allem, durch die Augen der Perle sehe. Ich muss diese Entschleunigung nur einfach mal öfter zulassen.
5 Comments
nandalya
12. Mai 2014 at 12:14Die Welt durch Kinderaugen sehen. Das ist und bleibt eine hohe Kunst.
perlenmama
13. Mai 2014 at 12:06…bei der man (ich jedenfalls) in dieser Hochgeschwindigkeitswelt manchmal eben Hilfe von einer (der) Perle braucht…:-)
Wiebke (Verflixter Alltag)
12. Mai 2014 at 22:17Echt schön geschrieben. Und ja: auch ich durfte letztens eine Ameise beobachten, wie sie über den Boden krabbelte 😉
Viele Grüße, Wiebke
perlenmama
13. Mai 2014 at 12:06Danke 🙂
Irre, was man so entdecken kann, nicht wahr?
podenca
20. Mai 2014 at 21:00Wunderbar. Wir sollten alle entschleunigen. Leider haben die meisten von uns wohl zu gut gelernt zu funktionieren. Mir jedenfalls fällt es oft schwer, meine Tochter Divas Tempo vorgeben zu lassen. Dabei wäre es so schön. Dein Post erinnert und ermutigt mich, es wieder öfter und bewusster zu versuchen. Danke!