Meine Krankheit ist keine Emotion – Depressionen für Anfänger #notjustsad

„Ich habe eigentlich immer nur einen Wunsch. Zuhören. Hört euch gegenseitig zu. Achtet wieder mehr auf das gesamte Gespräch und die Aussagen zwischen den Zeilen, nehmt euch Zeit füreinander, respektiert euch und unterstützt euch. Keiner kommt weiter, wenn er jemand anderen im Unverständnis zurücklässt oder mit Vorwürfen überhäuft. Diktiert keine Wege vor, sondern nehmt an die Hand und begleitet. Redet miteinander und übereinander. Nur so kann viel mehr Offenheit entstehen und Ängste klein gehalten werden.“

Dieses Zitat habe ich bei Tollabea gefunden und es zum Anlass genommen, wieder einmal über Depressionen zu schreiben. Als Unterstützung derer, die unwissend sind bezüglich dieser Krankheit, die nicht verstehen was es bedeutet depressiv zu sein und die in jener Unwissenheit vielleicht etwas tollpatschig denen vor den Kopf stoßen, die regelmäßig mit diesen Dämonen zu kämpfen haben.

Ein Aspekt mit dem Betroffene von Depressions-Erkrankungen immer wieder zu kämpfen haben ist, abseits von der Depression selbst, das Unverständnis anderer. Tatsächlich ist es für Nicht-Betroffene oft sehr schwer nachzuvollziehen was es wirklich bedeutet depressiv zu sein. Das liegt unter anderem auch daran, dass es unglaublich schwer ist in Worte zu fassen und verständlich zu erklären wie es sich anfühlt. Aber genau das möchte ich jetzt mal versuchen. Natürlich bin ich mir im Klaren darüber, dass Depressionen etwas sehr Individuelles sind und maße mir nicht an hier nun eine generelle Definition dafür zu geben. Ich kann euch lediglich erklären, wie es sich für MICH anfühlt, obgleich mir dies von vielen ebenfalls Betroffenen oft so bestätigt wurde.

Zu meiner Geschichte: Mit 19 Jahren wurde ich das erste Mal mit Depressionen diagnostiziert und zwar mit einer Bipolar I Störung. Mit den richtigen Medikamenten und hervorragender ärztlicher Betreuung bekam ich das Ganze relativ gut und zügig in den Griff und lebte dann etwa 10 Jahre quasi Beschwerdefrei mit dieser Krankheit. Mit 30 Jahren dann kam der große Rückfall. Da ich die Anzeichen lange missachtete, streckte mich das Ganze irgendwann gewaltsam nieder. Schizoaffektive Störung mit Bipolar II Komponente nannte sich das Ganze diesmal und ich brauchte fast anderthalb Jahre um wieder halbwegs normal mit der Krankheit zu leben und ein weiteres Jahr um wieder gänzlich auf Medikamente verzichten zu können. Wieder war dies nur mit einer intensiven ärztlichen Betreuung möglich. Derzeit geht es mir gut, es gibt eben gute und weniger gute Tage, aber ich habe die Oberhand und da ich mich mittlerweile kenne und gelernt habe auf die Anzeichen zu hören, kann ich auch relativ zügig Gegenmaßnahmen ergreifen.

Wie fühlt sich also eine Depression an? Viele verwechseln es ja gern mit negativen Gedanken, oder mit Traurigkeit. Doch dem ist nicht so. Bei mir zeigt sich eine Depression meist als unsägliche Müdigkeit und Erschöpfung. Ich habe dann einfach keine Kraft und Lust mehr mich zu erklären oder zu versuchen Dinge nachzuvollziehen. Ich bin dann einfach fertig, erschöpft, eine bleiernde Müdigkeit legt sich wie ein Schatten über meine Gedanken. Alles ist dann nur noch „kurz“ und nur das Allernötigste. Ich schaffe es dann kaum aufzustehen, nichts kann mich motivieren. Ich will dann nicht kommunizieren oder funktionieren. Ich will einfach nur da liegen und mich von irgendetwas berieseln lassen (denn selbst die Stille ist dann anstrengend). Ich bin dann nicht traurig über irgendetwas oder gar verzweifelt, ich bin dann einfach gar nichts. Ausgehebelt, unfähig, gelähmt.

In solchen Zeiten (zurzeit dauern sie vielleicht mal einen Tag an, es gab aber auch schon Episoden, die Wochen anhielten) igle ich mich ein, jeder soziale Kontakt strengt mich unsagbar an. Ich muss mich zum Zähne putzen zwingen (meist verliere ich diesen Kampf) und gegessen wird was man auf die Schnelle findet…zum Kochen fehlt die Kraft…und der Appetit. Ich schlafe dann viel, bin aber nie ausgeschlafen. Das Handy bleibt an solchen Tagen ignoriert oder sogar aus, etwaige Verabredungen werden abgesagt. Schon dieser kurze Kontakt, diese Erklärungen, strengen mich so sehr an, dass ich danach meist erstmal eine halbe Stunde regungslos daliege und die Decke anstarre. An To-Do-Listen und Emails ist an solchen Tagen gar nicht zu denken, ich kann mich überhaupt nicht konzentrieren und bin von den kleinsten Aufgaben (staubsaugen?!?) komplett überfordert.

Und das Schlimme an solchen Tagen/Episoden: Sie kommen und gehen wie sie wollen, ohne Vorwarnung, ohne ersichtlichen Grund. Es „passiert“ nichts was mich traurig macht, es gibt nicht, was man relativieren oder lösen könnte damit es mir besser geht. Man muss da einfach durch…ich muss da einfach durch. Da gibt es auch nichts zum „aufheitern“ oder „auf andere Gedanken bringen“. Auch die Relativierung a la „Es ist doch nicht so schlimm“ ist unpassend, denn ja, es ist ja nix schlimm. Es ist nur einfach grad alles grau…und mühsam…und zäh…und unsagbar anstrengend. Ich habe schon einmal beschrieben, was mir in solchen Situationen hilft…und was überhaupt nicht.

Was Depressionen jedoch NICHT sind: Melancholische Abende bei einem Gläschen Wein zuviel. Oder die Überforderung am Ende eines Jahres wenn einem bewusst wird wie schnell die Zeit doch vergeht. Oder die Verzweiflung wenn man viele schlimme Nachrichten aus aller Welt sieht. Oder sogar Trauer um einen geliebten Menschen (obgleich sich hier oft viel ähnelt), oder um die Vergänglichkeit des Augenblickes, oder Stress, Überforderung, Unzufriedenheit. Oder schlicht und ergreifend Traurigkeit über einen bestimmten Zustand. All das sind KEINE Depressionen. All das spüre und empfinde ich auch regelmäßig, aber es ist, auch wenn es der Volksmund oft fälschlicherweise tut, NICHT gleichzusetzen mit einer Depression. Dies zu tun spiegelt nur großes Unverständnis und Unwissen gegenüber echten Depressionen wider. Und dieses Unverständnis ist ja gar nicht schlimm, niemand ist allwissend. Nur wenn man trotz der Aufklärung durch Betroffene an dem Gebrauch des Wortes für negative Gefühle oder Traurigkeit festhält, dann ist es Ignoranz. Und das ist etwas, womit man als Betroffener nur sehr schlecht umgehen kann. Hier wird eine Krankheit zu einer Emotion degradiert. Ein Zustand, den der Betroffene quasi mit ein wenig Perspektive und Disziplin selbst lösen könne. Man müsse sich nur mal anstrengen oder einsehen wie gut man es doch eigentlich habe. „Nicht so anstellen“ solle man sich.

Oft wird auch nach Gründen gesucht. Das macht mich persönlich ja immer am wütendsten. Wenn ich eine Grippe habe fragt ja auch keiner nach den Gründen. Warum also bei Depressionen? Nein, keiner meiner Lebensumstände hat mich in die Depression getrieben. Meine Neurotransmitter haben einfach nicht mehr ordentlich gearbeitet, haben die falschen Botschaften zu den falschen Synapsen getragen und für ein ordentliches Durcheinander gesorgt. Also wenn ihr den Grund wissen wollt: Es war eine chemische Imbalance im Gehirn. Der Grund dafür ist unbekannt. Er kann in der Umwelt liegen, geerbt sein oder eine Laune der Natur. Kein Plan. Es ist aber nichts was man wegdiskutieren, rationalisieren oder relativieren kann. Man kann es aber behandeln, mit bestimmten Medikamenten. Manchmal helfen auch Gesprächstherapien um besser mit den Symptomen klarzukommen. Besonders wichtig sind diese für Menschen, die in akuten Episoden Suizid-Gedanken haben. Diese müssen lernen Maßnahmen zu entwickeln, um in den akuten Phasen zu funktionieren und vor allem sicher zu sein. Zu dieser Gruppe gehöre und gehörte ich zum Glück nie, aber ich habe riesengroßen Respekt davor.

Wichtig hier ist zu beachten, dass verschiedene Lebensumstände sehr wohl begünstigend für Depressionen wirken können. Allen voran ist hier Stress. Stress wirkt sich so auf den Körper aus, dass ihm über einen langen Zeitraum hinweg zuviel Adrenalin zugeführt wird. Dies kann ebenfalls negative Auswirkungen auf die chemische Balance im Hirn haben und den Arbeitsfluss der Neurotransmitter nachhaltig beeinträchtigen. Hier kann es zum einen übermäßiger Stress in der Kindheit sein (Trennung, Sucht, Gewalt, usw.), aber auch solcher erst später im Leben (auf der Arbeit, mit dem Partner, durch Einnahme bestimmter Drogen, usw.). Auch die Art und Weise wie man mit negativem Befinden umgeht ist erlernt und kann unterschiedliche Ausmaße annehmen. Wurde einem in der Kindheit z.B. vorgelebt, dass man negativem Empfinden mit Alkohol oder Aggressivität begegnet, so ist es nicht unverständlich, wenn man im Erwachsenenalter dieses Benehmen adoptiert und so versucht das Empfinden während einer Depression zu kompensieren. Hier spielen bestimmte Lebensumstände eine große Rolle, müssen aber nicht Auslöser für die Depression sein. Man kann auch im Nachhinein lernen andere Channel für negatives Empfinden zu nehmen und kann Angelerntes sozusagen umkehren. Das ist schwierig und bedarf harter Arbeit und Durchhaltevermögen, aber es ist nicht unmöglich, oft aber unumgänglich.

Man kann (und muss) also lernen mit Depressionen zu leben. Sie sind nicht immer gleich, sie sind nicht immer akut. Aber sie sind real. Und sie sind schwierig weil sie unberechenbar sind. Also tut uns Betroffenen bitte den Gefallen und hört auf sie kleinzureden, sie zu belächeln und sie für Emotionen wie Traurigkeit oder Melancholie zu benutzen. Depressionen sind eine echte Krankheit, deren Betroffene es zu verstehen, respektieren und unterstützen gilt.

Nachtrag: Wer gestern bei Twitter aufmerksam mitlas weiß, mit welcher Motivation dieser Text entstand. Erst war ich empört, dann sauer und im Angesicht der trotzigen Reaktionen auch wütend. Aber ich denke, dass die Mutter des Ganzen einfach Unwissenheit war und dem möchte ich mit diesem Text entgegenwirken. Denn Beschimpfungen machen Menschen nicht sensibler, Kommunikation aber vielleicht schon. Einen Versuch ist es jedenfalls wert.

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4 Comments

  • Reply
    Anne
    4. Januar 2017 at 12:07

    Ich hatte nach der Geburt meiner großen Tochter eine postnatale Depression. Wenn anderen nicht verstehen konnte, warum ich nicht konnte, habe ich das Ganze immer so beschrieben:

    Stell dir vor du liegst im Bett und willst aufstehen. Du kannst aber nicht, weil an allesn Körperteilen schwere Gewichte angebracht sind und du nicht die Kraft hast, dich damit zu bewegen. Du hast keine Kraft aufzustehen. Du hast keine Kraft ins Bad zu gehen. Du hast keine Kraft dich zu duschen. Du hast keine Kraft auf Toilette zu gehen. Du hast keine Kraft dich anzuzeihen. Dju hast keine Kraft dir ein brot zu schmieren und es zu Esssen. Du hast keine kraft dich um dein Kind zu kümmern. Du hast keine Kraft zum Postkasten zu gehen. Du liegst nur da und jeder Atemzug ist schwere Arbeit und nimmt dir alles. Du bist nur vom Atmen so erschöpft, dass du nur schlafen könntest…..

    Erst durch diese worte konnten andere etwas verstehen, was ich fast 9 Monate durchgemacht habe, bis ich Hilfe annehmen konnte. Ich bin heute noch meinen Mann dankbar, dass er sich um Kind und Haushalt und um mich gekümmert hat.

    LG Anne

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    Babsi
    4. Januar 2017 at 14:14

    Danke, für diesen tollen Text. Ich höre auch oft „Stell dich nicht so an“ „Ist doch alles gut“ „Ist doch nicht schlimm“ und „Du hast so viel, worüber du glücklich sein kannst“ Nicht hilfreich. Besonders der letzte Satz bewirkt nur, dass ich ein unheimlich schlechtes Gewissen bekomme, weil ICH so doof bin. Was die Situation sicher nicht besser macht.
    Du sprichst mir aus der Seele ❤️
    Liebe Grüße Babsi

  • Reply
    Roksana
    4. Januar 2017 at 17:43

    Danke dir.

  • Reply
    Meine 5 Freitagslieblinge vom 06. Januar 2017 › nordhessenmami.de
    6. Januar 2017 at 15:25

    […] leben – als Mensch, Vater und Blogger auf dem wunderbaren Blog Tollabea und der Artikel der Perlenmama „meine Krankheit ist keine Emotion“. Beide Geschichten erzählen von der schwer beschreibbaren und für Außenstehende kaum […]

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