Berta befreit sich – Eine Fabel

Es war einmal eine Henne, die hieß Berta. Sie war eine sehr tüchtige Henne, die auf einem kleinen Bauernhof wohnte und arbeitete. Die anderen Hühner und auch der Bauer kannten sie als eine sehr fleißige, gründliche und loyale Henne. Sie war klug und gewitzt und so verstand sie sich gut mit den anderen Hennen und lebte an sich ein glückliches Leben.

Viele Jahre arbeitete sie als Legehenne. Es war ein Job für sie, den sie ganz okay fand, doch ihr Traum war es eines Tages eine Zuchthenne zu werden. Nach all den Eiern, die sie abgeben musste, damit der Bauer mit ihnen Geld verdienen konnte, träumte Berta davon ihre gelegten Eier ausbrüten zu können und aus ihnen kleine Küken schlüpfen könnten. Natürlich wusste sie, dass auch diese Küken zum größten Teil verkauft werden würden, doch es ist schon ein Unterschied, ob Huhn diese Welt nun mit Küken oder Spiegeleiern bereichert.

Eines schönen Tages im Februar kam der Bauer in den Hühnerstall und erklärte ihr, dass er einen schönen Hahn gefunden hätte, der sie nun zur Zuchthenne machen würde. Berta war selig und bedankte sich stürmisch bei dem Bauern. Sie war die allerglücklichste Henne der Welt. Ein paar Wochen lang war sie eine tüchtige Zuchthenne und brütete mit großer Liebe und Sorgfalt ihre Eier aus. Die anderen Hennen waren schon fast genervt, so glücklich war Berta. Ihre Freundin Hanne sagte sogar einmal: „Mensch Berta, dir scheint ja fast die Sonne aus dem Popo, so glücklich bist du.“

Leider hatte Berta nicht verstanden, dass Zuchthennen nur in einer bestimmten Saison gebraucht werden, da sich der Kükenverkauf für den Bauern eben nicht das gesamte Jahr lang lohnt. Von daher wurde sie nach ein paar Wochen und einem Osterfest wieder eine ganz normale Legehenne, deren Eier der Bauer nun wieder Morgen für Morgen einsammelte um sie auf dem Markt zu verkaufen. Diese Rückkehr zum Legen fiel Berta sehr schwer.

Berta versuchte sich daran zu gewöhnen. Jedes Jahr, wenn die Zucht-Saison begann, schwor sie, sich jetzt so sehr ins Zeug zu legen, dass der Bauer sie am Ende der Saison vom Legen verschonen würde. Und sie war sehr nett zu ihrem Bauern, denn sie glaubte, dass wenn sie eine gute Beziehung hätten, dann würde es ihm auch wichtig sein, dass sie glücklich war. Doch jedes Jahr wurde sie nach einiger Zeit, ganz selbstverständlich, wieder zur Legehenne. Und obgleich sie sich selbst eingackerte, dass sie damit klar kam, dass es eben nun mal so sei, und dass sie sich schon daran gewöhnen würde, so passierte doch etwas.

Sie wurde bitter. Erst war es nur ihre Freundin Hanne, der die Veränderung auffiel. „Wo ist deine Sonne, Berta?“ frug sie immer wieder, doch Berta zuckte nur mit den Flügeln. Sie begann sich hilflos zu fühlen. Ausgeliefert, und ausgenutzt. Als wäre sie nicht Herrin ihres Lebens und ihres Glücks. Und sie begann den Bauern zu hassen. Erst ganz leise und nur dann und wann. Dann wurde es stärker und andauernder. Und es war dieser Hass, der sich auf ihr gesamtes Leben ausbreitete und alles vergiftete, was sie tat. Man kannte sie nicht mehr als tüchtige und glückliche Henne. Sie war unruhig, vergesslich. Sie wirkte fahrig und konnte sich nur noch schlecht konzentrieren. Sie sah die Dinge immer öfter in einer „Futtertrug-halb-leer“-Manier und kam morgens immer schlechter von der Stange.

So passierte es, dass sie in einer Brut-Saison einen Fehler beim Ausbrüten machte und somit nur sehr wenige Küken zum Verkauf angeboten werden konnten. „Also Berta!“ schimpfte der Bauer, „das geht so nicht. Dann kann ich dich als Zuchthenne nicht mehr gebrauchen. Das kann die Dora dann eben ab jetzt machen“. Die anderen Hennen sahen Berta erschrocken an.“Oh Berta!“, jammerte Hanne, „das tut mir so leid für dich.“ „Schon gut“, brummte Berta abwesend, „ist mir jetzt auch egal.“ Und es war nur Hanne, die einen kleinen Schimmer von Wahnsinn in den Berta’s müden Hennenaugen aufblitzen sah. Doch sie wusste nicht, was sie damit anfangen sollte.

Dann, eines frühen Morgens, blickte Berta auf die Eier, die sie über Nacht gelegt hatte. Es waren wunderschöne, schneeweiße Eier. Schon bald würde der Bauer kommen und sie einsammeln. Und wie immer würde er es schnell und gierig tun, mit flinken Fingern, ohne auch nur einen Blick auf diese wunderschönen Eier zu verschwenden, oder ein Wort des Lobes an Berta oder die anderen Hennen zu richten. Sie spürte wie die Wut in ihr aufflammte. „Eigentlich“, überlegte sie, „also eigentlich hat der dumme Bauer diese wunderschönen Eier doch gar nicht verdient. Weder er, noch die Menschen, die sie kaufen würden und bestimmt keinen einzigen Gedanken an die fleißige Henne verschwenden.“

Und plötzlich hatte sie einen Entschluss gefasst. Sie würde nicht mehr eine passive und fremdbestimmte Henne sein. Sie würde ihren eingestaubten Stolz wieder einsammeln und würde ihr Glück selbst in die Hand nehmen. Sie konnte ihr Leben nicht mehr von einem Bauern abhängig machen, für den sie nur eine dumme Legehenne war, mit der man machen konnte, was man wollte. Sie war das erste Mal seit Monaten wieder richtig wach, hüpfte von ihrer Stange und sah sich um. Dort lagen ihre wunderschönen Eier. Berta ging langsam auf ihre Eier zu und begann, jedes Einzelne davon mit ihrem scharfen Schnabel zu zerhacken.

Und die Moral von der Geschicht:

Mit manchen Hühnern kannste das so machen, mit anderen eben nicht.

Oder: Bauer, pass auf deine Eier auf.

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10 Comments

  • Reply
    sufo2
    2. Mai 2014 at 09:42

    Sehr schön geschrieben und es lässt einen zum grübeln bringen, danke dafür!

    • Reply
      perlenmama
      2. Mai 2014 at 16:52

      Danke! 🙂
      Ja, es war aus aus einer sehr dichten Grübelei heraus geschrieben.

  • Reply
    Ben Froehlich
    2. Mai 2014 at 11:45

    Eine gute Symbolik, die du da aufbaust. Gerade diesen Punkt, wo sie freundlich ist und hofft, dass der Bauer dies anerkennen würde, der ist wohl vielen von uns Arbeitnehmern nicht unbekannt. Allerdings werde ich meinem Chef nicht an die Eier gehen 😉 zumal ich mit meinen jetzigen das Problem nicht habe. 😀

    • Reply
      perlenmama
      2. Mai 2014 at 16:52

      Ja, aber das geht noch weit über das Arbeitnehmer-Dasein hinaus, was ich damit meinte. Aber wie das mit Fabeln generell so ist wird es von jedem so ausgelegt, wie es am besten oder ehesten passt.

      Dank dir! 🙂

      • Reply
        Ben Froehlich
        2. Mai 2014 at 16:54

        Oh ja, da hast du natürlich vollkommen recht. Guter Hinweis. 😀

  • Reply
    nandalya
    2. Mai 2014 at 14:11

    Berta steht stellvertretend für alle Frauen dieser Welt. So zumindest sehe ich den Text. Aber die meisten Frauen bleiben ihr Leben lang „dumme Gackerhühner“ und befreien sich von ihrem Legedasein nicht. Hat Mann genug von ihnen werden sie zur Schlachtbank geführt. Wacht auf, ihr „Bertas“ dieser Erde. Wacht auf und wehrt euch. Seid anders und doch normal.

    • Reply
      perlenmama
      2. Mai 2014 at 16:50

      Absolut richtig.
      Und absolut richtig verstanden! 🙂

  • Reply
    Fräulein Green
    2. Mai 2014 at 19:36

    Also, Symbolik hin oder her, ich bin an den Bildern hängengeblieben. Berta zuckt mit dem Flügel und kommt morgens immer schlechter von der Stange. Außerdem sehe ich sie, wie sie missmutig auf ihren Eiern sitzt und schmollt oder sich „eingackert“, dass sie glücklich ist. Kopfkino pur 😀

  • Reply
    Suse
    2. Mai 2014 at 19:37

    Sehe ich genauso.
    Aber ganz ehrlich? Manchmal wäre ich gerne die dumme Legehenne, die diese Dummheit gar nicht bemerkt….

  • Reply
    Neue 22 in 2015 und Fazit von 22 in 2014 | Perlenwelt
    29. Dezember 2014 at 10:03

    […] fiktive Geschichte schreiben. Ich habe letztens eine Fabel geschrieben, aber die war nicht 100% fiktiv. Fazit: Im Kopf geistert eine rum, aber für dieses […]

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